PATFox mit Expert*innengespräch zu Gast an Universität Heidelberg
PHILIPP WISSING von Blueprint for Free Speech e.V., die beiden PATFox Germany Trainer RA Dr. Nadine Dinig und RA Dr. Jasper Prigge sowie Wiss. Ass. Madeleine Petersen Weiner stellten am 03.11.23 verschiedene Aspekte aus dem Themenbereich “SLAPP” im Hörsaal 04 der Neuen Universität Heidelberg vor. Außerdem gab es die Gelegenheit, in den direkten Austausch zu treten und verschiedene Fragen der institutionellen, legislativen, rechtstheoretischen und -praktischen Diskurse zum Thema zu diskutieren. Die Veranstaltung war Teil von PATFox, mit dem Ziel, Rechtsanwältinnen, -wissenschaftlerinnen und -studierenden für SLAPPs zu sensibilisieren. Das Publikum bestand aus Studierenden und Praktiker*innen der Politik- und Rechtswissenschaften.
Madeleine Petersen Weiner, Akademische Mitarbeiterin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, Heidelberg und Doktorandin an der Universität Heidelberg im Rahmen der International Max Planck Research School for Successful Dispute Resolution in International Law (IMPRS-SDR), eröffnete den Abend mit einführenden Bemerkungen zum Thema. Die Kurzform SLAPP kommt aus den USA: Übermächtige juristische sowie natürliche Personen, die Journalist*innen oder Aktivist*innen mit juristischen “Ohrfeigen” zum Schweigen bringen wollen. Nicht immer ist das Vorgehen juristisch unbegründet, aber in jedem Fall hat es einen einschüchternden Effekt. Es handelt sich um eine Form des Rechtsmissbrauchs, die öffentliche Kritik mittels rechtlicher Schritte zu unterdrücken sucht.
SLAPPs zielen darauf ab, kritische Stimmen einzuschüchtern und haben eine abschreckende Wirkung auf den zivilgesellschaftlichen Diskurs und die kritische Öffentlichkeit. Konkret nannte Petersen Weiner einige Beispielfälle, wie das Vorgehen von Roman Abramovich gegen die britische Journalistin Catherine Belton.
Philipp Wissing von Blueprint for Free Speech e.V. stellte im Anschluss den weiteren politischen Kontext der aktuellen Debatte um SLAPPs dar. 2017 begann die europäische Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE), unter anderem als Reaktion auf den Mord an der maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, rigoros für gesetzliche Regelungen gegen SLAPPs auch in Europa einzutreten.
Gleichzeitig formierte sich auch das deutsche No-SLAPP-Bündnis, maßgeblich vor dem Hintergrund des erfolgreich abgewehrten SLAPPs gegen das Umweltinstitut München sowie der Hohenzollern-Fallreihe. Seit April 2022 widmet sich die Europäische Kommission der europaweit wachsenden Anzahl von SLAPPs, und hat dazu einen Richtlinienvorschlag erarbeitet (52022 PC 0177 – EN – EUR-Lex). Die legislativee Debatte fokussiert den Schutz vor einschüchterndem Rechtsmissbrauch bei gleichzeitig garantiertem Zugang zum Recht. In der anwaltlichen Praxis hingegen geht es schon jetzt, noch bevor die Richtlinie verabschiedet ist, um konkrete verfahrensstrategische und taktische Überlegungen.
Seit Ende 2022 vernetzt und trainiert deshalb das Pioneering Anti SLAPP Training for Freedom of Expression (PATFox) Anwält*innen in elf europäischen Ländern, gefördert von der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission. Die Sensibilisierung des Teils der (angehenden) Anwaltschaft, den SLAPPs nicht primär als Geschäftsmodell interessiert, ist ein zentrales Element beim Kampf gegen diese Form des Machtmissbrauchs: Die wirkungsvolle Verteidigung von Journalist*innen und Aktivist*innen gegen oftmals haltlose Vorwürfe scheitert häufig daran, eine anwaltliche Vertretung zu finden, die mit der SLAPP-Problematik vertraut ist und entsprechende Verteidungsstrategien kennt.
Dr. Jasper Prigge ist Rechtsanwalt mit Spezialisierung im Urheber- und Medienrecht. Er sieht hierzulande vor allem Probleme im vor- bzw. außergerichtlichen Bereich. Wo in anderen Ländern viel strategisch-missbräuchlich vor Gerichten agiert werde, liege in Deutschland der Schwerpunkt des strategischen Rechtsmissbrauchs vor allem in der außergerichtlichen Auseinandersetzung. In Deutschland würden die gesetzlichen Regelungen Rechtsmissbrauch vor Gericht recht schwer machen. Gleichzeitig würde die vielseitig instrumentalisierbare Möglichkeit der anwaltlichen Abmahnung breit genutzt, so der Medienanwalt, der von einer sehr hohen Dunkelziffer von SLAPPs ausgeht, die auf diese Weise zu ihrem Ziel gelangen, ohne jemals vor Gericht verhandelt zu werden.
Prigge berichtet von seinen Erfahrungen mit großen, multinational aufgestellten Akteuren, die mit großem Druck gegen kritische Berichterstattung und lokalen Aktivismus vorgehen. Als häufigste Formen von rechtsmissbräuchlichem Vorgehen, die ihm in der Praxis begegnen, nennt er zu knapp gesetzte Fristen und unverhältnismäßig hohe Schadenssummen, die in Zivilverfahren aufgerufen werden, was zur Folge hat, dass Anwalts- und Verfahrenskosten ebenfalls steigen, obwohl oft eben nicht ersichtlich sei, wodurch teilweise exorbitante Schadenssummen gerechtfertigt seien. Insgesamt steht für den Medienanwalt immer öfter eine Frage im Mittelpunkt: Wer kann sich Rechtsstreitigkeiten überhaupt leisten?
Dr. Nadine Dinig ist Rechtsanwältin mit Spezialisierung in Presse- und Medienrecht. Sie arbeitet eng mit mehreren Verlagshäusern und Journalist*innen zusammen. Und berichtet von einer Veränderung, die in den vergangenen Jahren stattgefunden habe: Vermehrt würden Journalist*innen als Einzelpersonen angegriffen bzw juristisch angegangen, wo es bislang üblich gewesen sei, sich an die Redaktionen oder die Verlagshäuser selbst zu richten. Dinig wertet dies als SLAPP-Charakteristik. Und empfindet die maßgeblich durch den Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission auch in Deutschland angestoßene Debatte zum Thema als schleppend und zu träge. Das gerade in Deutschland häufig hervorgebrachte Argument, dass es keine wirklichen SLAPPs gebe, hält sie für unzutreffend - und verantwortungslos angesichts der europäischen Dimension des Problems. Schon allein dadurch, dass es in anderen EU Staaten ganz offensichtlich eine zunehmende Verschlechterung der Meinungsfreiheit gäbe, könne sich die deutsche Debatte nicht einfach dem Thema verschließen. Ihren Standpunkt in der Diskussion formuliert die Presserecht-Expertin ebenfalls mit Bezug zum gleichen Zugang zum Recht, der sichergestellt werden muss. Für sie ist dieser rechtsstaatliche Grundsatz aber vielmehr insofern bereits aus dem Gleichgewicht, als dass sich viele Menschen rechtliche Auseinandersetzung, und sei es nur eine anwaltliche Erstberatung, schlicht nicht leisten könnten. Vor diesem Hintergrund plädiert Dinig dafür, diese Imbalance auszugleichen. Und bezeichnet die EU-weite Anti-SLAPP Gesetzgebungsinitiative dabei als ersten Schritt.
In der Diskussion mit den Teilnehmenden an der Veranstaltung in Heidelberg kamen neben den von den beiden Anwält*innen ausgeführten Themen noch weitere Fragen auf. Inwiefern ist die politische Debatte rund um SLAPPs als rechtliche Diskussion zu führen? Und andersherum: Inwiefern kann und soll die rechtliche Diskussion von strategischen Missbrauchsformen politisch geführt werden? Wie sehr muss ein Rechtsstaat darauf achten, dass es für viele Bürger*innen problematisch bis existenziell bedrohlich werden kann, in juristische Schritte verwickelt zu werden? Und wer sind eigentlich die Akteure in der öffentlichen Diskussion?
Die Veranstaltung in Heidelberg hat über die äußerst interessanten Einblicke in die akademische sowie in die anwaltlich-praktische Auseinandersetzung mit SLAPPs deutlich werden lassen, dass diese und andere Fragen diskutiert werden müssen, wenn sich die kritische Öffentlichkeit in Deutschland und Europa ihren rechtsstaatlich gewahrten Rahmen beibehalten und sogar ausbauen will. Die Anwesenden in Hörsaal 04 sind am 03.11.23 gemeinsam einen Schritt auf diesem Weg gegangen.