Rechtsmissbrauch zulasten der kritischen Öffentlichkeit - und was dagegen getan werden kann
Immer mehr Unternehmen, staatliche Akteure und reiche Einzelpersonen nutzen rechtliche Mittel, um Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen. Blueprint for Free Speech brachte das Thema auf die Jahreskonferenz des Chaos Computer Clubs (ccc) 2022, bei der PATFOX-Trainer Dr. Jasper Prigge im Gespräch mit Mona Blum vom Arbeitskreis kritischer Jurist*innen München das Phänomen der “Strategic Lawsuits Against Public Participation” und mögliche Gegenmaßnahmen vorstellte.
Die Kurzform SLAPP kommt aus den USA: Übermächtige Player, die Journalisti oder Aktivisti mit juristischen “Ohrfeigen” zum Schweigen bringen wollen. Nicht immer sind die Forderungen juristisch unbegründet, aber in jedem Fall haben sie einen einschüchternden Effekt. Weil SLAPPs ein strategisches Mittel in der Auseinandersetzung um für die Öffentlichkeit wesentliche Themen sind, handelt es sich nicht zuletzt um Ohrfeigen für die Demokratie.
SLAPPs sind darauf ausgerichtet, öffentliche Partizipation zu schwächen, indem sie Kritiker*innen einschüchtern und oftmals so zum Schweigen bringen können. Der beste Schutz gegen juristische Angriffe ist, bereits im Vorfeld die Angriffsfläche so klein wie möglich zu halten. Kommt es dann doch zur Abmahnung oder gar zur Anzeige, gilt es, besonnen und schnell zu handeln. Noch gibt es allerdings nur wenige Anwält*innen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen und entsprechende Mandate in der gebotenen Kurzfristigkeit übernehmen. Genau hier setzt das “Pioneering anti-SLAPP Training for Freedom of Expression” (PATFOX) an, das von der Europäischen Kommission in 11 europäischen Ländern gefördert wird.
In Deutschland setzt Blueprint for Free Speech das PATFOX-Programm um und organisiert Trainings für Anwält*innen, die sich zum Thema SLAPP weiterbilden und vernetzen möchten. Die international agierende NGO setzt sich aber auch für ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für die Problematik dieses systematischen Rechtsmissbrauchs ein.
Auf der jährlichen Konferenz des ccc war die Thematik in zweifacher Hinsicht relevant. Zum einen ist der Chaos Computer Club als europaweit größte Vereinigung von Hackern und anderen Expert*innen in Sachen Computersicherheit prädestiniert für eine Debatte zu SLAPPs. Immer wieder sind Aktivist*innen aus der Hacker-Szene Ziele von Einschüchterungsversuchen.
Zum anderen fand ein lokaler Ableger der Ende 2022 dezentral organisierten ccc Konferenz in einem von einem zivilgesellschaftlichen Bündnis für Freiraum reaktivierten Leerstand nahe des Münchner Hauptbahnhofs statt. Blueprint for Free Speech wählte diesen Kontext für die Veranstaltung, da das Bündnis für Freiraum ebenfalls auf eine kritische Öffentlichkeit angewiesen ist, um die gerade in München gravierende Problematik von zahlreichen Leerständen bei andauernder Raumknappheit angehen zu können. Gerade Immobilienfirmen und andere mächtige Interessengruppen auf den Immobilienmärkten fallen in Deutschland immer wieder durch SLAPPs auf, weshalb eine präventive Sensibilisierung in der Thematik beim Bündnis für Freiräume auf großen Anklang stößt.
Das Gespräch mit Mona Blum vom Münchner Ableger des AkJ* - Arbeitskreis kritischer Jurist*innen mit RA Dr. Jasper Prigge, Anwalt für Medienrecht und PATFOX-Trainer, wurde aufgezeichnet und ist hier einsehbar.