Eröffnung des Prozesses gegen Julian Hessenthaler: Die österreichische Justiz auf dem Prüfstand
Epicenter.works und Amnesty Österreich waren letzte Woche am Landesgericht St. Pölten anwesend, um den Prozess gegen Julian Hessenthaler zu beobachten, der am Mittwoch, den 8. September, eröffnet wurde. Der Privatdetektiv und Journalist Hessenthaler ist eine Schlüsselfigur bei der Aufarbeitung der Ibizagate-Affäre, die Korruption auf höchster Ebene aufdeckte und die rechtsextreme Regierung Österreichs 2019 zu Fall brachte.
Dank des Medieninteresses an dem von Blueprint for Free Speech und vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichneten offenen Brief, über den in 11 Ländern berichtet wurde, war der Gerichtssaal bei der Eröffnung des Prozesses voll besetzt und das Interesse der lokalen und internationalen Presse war groß.
Die sechsstündige Anhörung begann damit, dass Hessenthaler auf nicht schuldig plädierte und seine eigene Aussage vor Gericht machte. Es folgte die Vernehmung der beiden Hauptbelastungszeugen, von denen einer ohne Dolmetscher nicht weiter aussagen konnte. Es wird erwartet, dass diese Zeugenaussage bei der nächsten Anhörung am 13. Oktober fortgesetzt wird, zusammen mit anderen, die nach Ansicht der Verteidigung Widersprüche in der Anklage aufzeigen.
Der deutsche Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der ebenfalls im Gerichtssaal war, hat für den Spiegel einen sehr kritischen Bericht über das, was er beobachtet hat, geschrieben.
In seinem Artikel beschreibt Kaleck ein Ermittlungsverfahren, das der Regierung näher steht, und eine Rechtskultur, die der Staatsanwaltschaft gegenüber wesentlich nachsichtiger ist, als er es in Deutschland erwarten würde. Er weist darauf hin, dass dieses Maß an Rücksichtnahme die Frage aufwirft, ob es angemessen war, dass Deutschland Hessenthaler umfassend überwachen ließ und ihn dann Anfang des Jahres aus Deutschland auslieferte:
“In der europäischen Zusammenarbeit bei der Verfolgung von Straftaten wird mit der Fiktion gearbeitet, die guten Nachbarn hielten alle rechtsstaatlichen Standards ein, deswegen müsse man nicht so genau hinschauen. Die deutsche Justiz winkt willfährig Dutzende von europäischen Ermittlungsanordnungen bis hin zur Funkzellenauswertung der Umgebung von Hessenthalers Berliner Anwaltskanzlei durch. Die Auslieferung nach Österreich ist dadurch keine mehr, bei der – wie die Wortwahl nun lautet – »Überstellung« aufgrund eines europäischen Haftbefehls wird nicht einmal mehr geprüft, ob politische Verfolgung vorliegt. Die Berliner Justiz überstellt Hessenthaler im März 2020 – seitdem sitzt er in österreichischer Haft und wartet auf seinen Prozess.”