Rechtsverfahren als mentale Belastung: Die psychologische Dimension von SLAPP

Die Coalition Against SLAPPs in Europe hält in ihrem 2023 report update fest: Neben der finanziellen ist die psychologische Dimension einer der zentralen Aspekte der Vulnerabilität von Betroffenen von SLAPPs. Denn rechtlich belangt zu werden kostet nicht nur, es stellt auch auf verschiedene Weise eine psychische Belastung dar. Dabei gibt es noch zu wenig belastbare Erkenntnisse über diesen Zusammenhang - auf welche verschiedenen Weisen sich rechtsmissbräuchliche Verfahren tatsächlich bei verschiedenen Betroffenen auswirken, muss noch erforscht werden.

Betroffene haben Angst vor den konkreten Risiken eines Gerichtsverfahrens, können nur schwer mit der Anspannung umgehen, die durch die Verfahren ausgelöst wird, oder  fühlen sich bloßgestellt durch den rechtlichen Prozess - diese und andere Erfahrungen können durch rechtliches Vorgehen gegen Kritik ausgelöst werden. Und führen zur Effektivität der Einschüchterungsversuche, wenn die Betroffenen keinen adäquaten Umgang damit finden.

Einen pointierten Eindruck in die Gefühle, die rechtliche Schritte im Kontext von öffentlich geäußerter Kritik auslösen können, gibt aktuell der Influencer Levi Penell. Penell veröffentlichte auf seinem TikTok-Kanal Videos, die das Geschäftsmodell einer Firma als Schneeballsystem darstellen und in denen er seine Recherchen zu Berichten und Personen rund um die Firma präsentierte. Eine mit der Firma assoziierte Person beauftragte daraufhin eine Anwaltskanzlei, eine Abmahnung an Penell zu übermitteln - in der Penell aufgefordert wird, eine Behauptung in Bezug auf eine Person nicht mehr im Zusammenhang mit seinen Recherchen aufzustellen.

Daraufhin führte Penell in einem Video aus, was das emotional mit ihm macht. Er spricht dabei von Überforderung und Angst angesichts hoher geforderter Summen und fehlender rechtlichen und finanziellen Absicherung. Von fehlender Lust, Kraft und Zeit, um den Vorwürfen umfassend und rechtlich abgesichert in einem potentiell langwierigen Prozess zu begegnen. Und vom Ohnmachtsgefühl angesichts eines scheinbar übermächtigen Gegners und eines Konflikts, bei dem es scheinbar weniger um eine inhaltliche Diskussion als um Einschüchterung geht - und dem damit verbundenen Wunsch nach mehr Gerechtigkeit. 

Die von Penell geschilderten Gefühle passen zu anderen bekannten Reaktionen auf rechtliche Einschüchterungsversuche. Gleichzeitig geht der Influencer geradezu vorbildlich mit der Abmahnung um: Anstatt sich mit seiner Kritik aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, thematisiert er das rechtliche Vorgehen gegen ihn öffentlich. Und sucht sich entsprechend rechtlichen Beistand, wie er in einem Update-Video berichtet. Kompetente rechtliche Beratung und selbstbewusste Behauptung der öffentlich geäußerten Kritik sind zwei elementare Komponenten dabei, rechtlichen Schritten adäquat zu begegnen und einschüchternde Dynamiken abzumildern. Entsprechend kann sich Penell in seinem zweiten Video zur Sache um einiges entspannter zeigen, erzählt, dass ihm alles viel weniger schlimm vorkomme als zunächst angenommen und dass er Hoffnung auf einen guten Ausgang verspüre.

Insgesamt hängt all das sehr stark von den jeweiligen individuellen Umständen ab - und ist zudem noch kaum erforscht. Umfassende Erhebungen stehen noch aus, die durch Interviews betroffener Personen und andere Auswertungen der emotionalen Dimension von Rechtsverfahren im Kontext von öffentlich geäußerter Kritik allgemein ein differenzierteres Verständnis von den psychologischen und sozialen Faktoren dabei ermöglichen wurden. 

Im Rahmen unserer Arbeit mit der No SLAPP Anlaufstelle unterstützt Blueprint for Free Speech jedenfalls bereits jetzt alle Personen, die im Zusammenhang von öffentlich geäußerter faktenbasierter Kritik rechtlich belangt werden bzw. denen rechtliche Schritte angedroht werden. Wir registrieren und beobachten alle entsprechenden Fälle, unabhängig davon, ob es sich streng definitorisch um einen SLAPP handelt. Sobald Indizien für mögliche Einschüchterungen vorliegen, können sich Betroffene an die Anlaufstelle wenden. Dabei versuchen wir nicht nur, konkrete rechtliche und finanzielle Unterstützung zu vermitteln. Sondern können längerfristig durch die Dokumentation solcher Fälle hoffentlich auch dazu beitragen, die sozialpsychologische Komponente von Einschüchterung durch rechtliche Verfahren besser aufzuklären und dann auch entsprechend effektive Ansätze dagegen zu entwickeln.

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Der rechtliche Beirat der No SLAPP Anlaufstelle im Gespräch: Chan-jo Jun

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