Interview-Reihe, Teil 1: Avv. Canestrini über SLAPPs

Avv. Nicola Canestrini

Die rechtliche Verteidigung gegen SLAPPs ist ein nach wie vor weitgehend unentwickeltes Gebiet. Die meisten Rechtsanwält*innen haben, wenn überhaupt, nur eine vage Vorstellung von SLAPPs, da die Thematik im Studium und den bestehenden regelmäßigen Fortbildungen noch kaum präsent ist.

Wir organisieren im Rahmen des PATFox-Projekts Fortbildungen und Vernetzungstreffen für Anwält*innen, um genau das zu ändern. Und haben mit Expert*innen gesprochen, die bereits viele Erfahrungen mit SLAPPs gesammelt haben. Deren Erfahrungen und Perspektiven stellen wir in dieser Interview-Reihe vor.

Avv. Nicola Canestrini ist Rechtsanwalt aus Rovereto, Italien. Als Strafverteidiger ist er im Bereich des italienischen, europäischen und internationalen Strafrechts tätig. Diese Rechtsbereiche spielen im aktuell diskutieren Anti-SLAPP-Richtlinienentwurf der Europäischen Union keine Rolle. Trotzdem ist Avv. Canestrini mit SLAPPs bestens vertraut, die manchmal eben auch strafrechtliche Relevanz erlangen können. So verteidigte er erfolgreich einen Mitarbeiter des Umweltinstituts München in einem Cross-border-Fall vor dem Strafgericht in Bozen. Das Umweltinstitut hatte in einer Plakatkampagne den Einsatz von Pestiziden in der norditalienischen Region Südtirol angeprangert. Die italienische Staatsanwaltschaft folgte der Anzeige eines südtiroler Landesrats und über 1370 Bäuer*innen und erhob Anklage wegen Verleumdung. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Wir haben uns mit Avv. Canestrini über seine allgemeinen Perspektiven auf das Thema unterhalten.

Blueprint for Free Speech: Können Sie die SLAPP-Fälle, die Sie in den vergangenen Jahren betreut haben, charakterisieren - ist Ihnen "der" SLAPP Fall begegnet, oder sind es eher jedesmal verschiedene? Was macht diese Fälle aus?

Avv. Nicola Canestrini: SLAPP Fälle nehmen zu. Auch, weil sich eine gewisse Sensibilität entwickelt hat, auch bei mir. Journalist*inne und Aktivist*innen, kritische Stimmen - Man versucht die immer wieder, mundtot zu machen, auch auf gerichtlichem Wege. Ausschlaggebend ist, wo die Machtressourcen sind, um einzuschätzen, ob es ein SLAPP ist. Dabei geht es um ökonomische, politische, gesellschaftliche Ressourcen. Wenn jemand viele solcher Ressourcen hat und damit versucht, Kritiker mundtot zu machen, dann ist es SLAPP.

Ich erinnere mich an den Fall eines Gewerkschafters vor einigen Jahren, der nicht so gut gelaufen ist: Es gab einen Prozess und sogar eine Verurteilung, die erst in Berufung aufgehoben wurde, obwohl ich das anders eingeschätzt hatte. Damals war mir nicht klar, dass das ein strategisches Vorgehen ist.

Ein Gewerkschafter hatte einen Artikel in der Gewerkschaftszeitung geschrieben, dass bei einem Hotel und dem Hotelverband der soziale Gerechtigkeitssinn fehlt, weil einer POC, die in dem Hotel gearbeitet hatte, 700€ ihres Lohns nicht ausgezahlt wurden. Daraufhin wurde der Gewerkschafter verklagt.

Ich denke, seitens der Gerichtsbarkeit fehlt oft ein Verständnis für die gesellschaftliche Tragweite solcher Verfahren. Es stellt sich ja bei solchen Fällen die Frage: Kann hier ein Problem für die Demokratie entstehen? Die Gerichtsbarkeit sollte die Möglichkeit haben, SLAPP Fälle frühzeitig zu erkennen und in einem Schnellverfahren zu behandeln. Ansonsten schlagen die Prozeduren voll zu und die Strategie geht auf. Der “Chilling Effect” ist mit einer Anklage sowieso immer schon direkt da.

Denken Sie, dass es gute praktische Möglichkeiten gibt, das schnell abzufertigen?

Bei strafrechtlichen Fällen könnte der Codice Rosso in Italien als Vorbild gelten, im Kontext von Straftaten und Gewalt gegen Frauen. So ähnlich könnte es auch für SLAPPs funktionieren. Bei Zivilverfahren ist es etwas komplizierter. Dort fehlt die Öffentlichkeit, die enorm wichtig ist bei solchen Verfahren. Außerdem gibt es höhere Kosten, die immer am Streitwert gemessen werden. Gleichzeitig sind Zivilverfahren auch der öfter gewählte Weg für SLAPP, habe ich den Eindruck. Dafür müssten noch Lösungen gefunden werden.

Welche Bedeutung hat SLAPP für Ihre Berufspraxis? Unterscheiden sich solche Fälle von anderen Fällen?

Betroffene von SLAPPs haben oft Angst, dass sie etwas schlimmer machen, wenn sie etwas sagen. Ich denke, dass genau das falsch ist. Da gab es zum Beispiel einen Umweltschützer, wo es weniger Öffentlichkeitsarbeit war, sondern eine andere Strategie, die geholfen hat: Eine Gegenklage. Wir haben gerichtliche Mittel genutzt, um die Gegenseite zurückzudrängen und dadurch mehr Freiheit zu erlangen. Da muss man dann schon mal kreativ werden.

Sind SLAPP Fälle anstrengender als andere?

Nein, ich mache das gerne, auch weil es eine Möglichkeit ist, den Rechtsstaat zu verteidigen. Das macht Spaß. Und es fühlt sich gut an, dass ich dafür etwas tun kann

Wie nehmen Sie den Fachdiskurs zu SLAPP der vergangenen 2-3 Jahre wahr? Wie wird das Thema in der Anwaltschaft in Ihren Augen thematisiert und diskutiert, welches (Un-)Verständnis entwickelt sich in der Justiz dafür?

Verständnis besteht nicht immer. Da muss noch mehr darüber gesprochen werden. Sowohl in der Anwaltschaft als auch in der Justiz. Dabei wäre es vor allem wichtig, auf Einzelfall-Argumentation einzugehen, die die Gegenseite oft vorgibt: Prinzipiell stimmt schon, aber bei uns ist es wirklich anders. Da müsste man dann von Fall zu Fall spezifisch zeigen, dass es eben doch nicht anders ist. Dabei finde ich es allerdings wichtig, nicht den entsprechenden Anwälten oder Kanzleien vorzuwerfen, dass sie SLAPPs vertreten. Diese Art von Bewertung von Anwälten im Rechtsstaat finde ich prinzipiell problematisch. Ein Anwalt sollte nicht mit den Motiven der Mandantschaft gleichgestellt werden - auch nicht, wenn es um SLAPPs geht.

Was ist Ihr Ausblick - welche Rolle werden SLAPPs in den kommenden 2-3 Jahren spielen?

Scheinbar wird das Problem in Europa erkannt. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass die aktuell viel diskutierte Richtlinie auch auf viel Ablehnung stößt. Ob es gelingen wird, SLAPP Methoden zu verunmöglichen, ist unklar - ich denke nicht, dass europäische Regelungen allein helfen können. Aber es ist ein Anfang. Und der öffentliche Diskurs selbst hat da noch viel mehr Möglichkeiten, rechtsmissbräuchliche Einschüchterungen zu skandalisieren. Am Ende kann sich die Gesellschaft wahrscheinlich am besten selbst helfen.

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